Site-Navigation

Startseite

Das Buch

Erzähltechnik

Quellencollage

Illustration

Kontakt

 

Erlebte Geschichte auch im Unterricht?

Einsatz der Warhafftigen Historia des fahrenden Schülers bei der Aus- und Fortbildung

Gliederung:
Hollywood und der Geschichtsunterricht - Die Macht der Erzählung
Die Rolle des Zeitzeugen
Die Verwendung im Unterricht

Hollywood und der Geschichtsunterricht

David Cesarani, Professor für jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Sauthampton und Direktor der Wiener Library, London, überschrieb seinen lesenswerten Artikel im Observer über die Problematik des Geschichtsverlustes der jüngeren Generationen: “Hollywood can educate, why can’t historians?”
Er spielt auf Spielbergs Film Schindlers Liste an, der sich jungen Leuten tief eingeprägt habe, so dass Unterrichtsveranstaltungen über das Dritte Reich überbelegt seien, während mangelndes Interesse seiner Studenten an allen anderen geschichtlichen Epochen zu beklagen sei; “ Many students come to us with little knowledge of anything but Hitler.”
Cesarani führt dieses Nicht-Wissen auf das Versagen der Unterrichtsmethoden zurück:
“ The history of pre-modern European societies has suffered from decades of lousy history-teaching; a boring chronicle of kings, bishops, wars, and diplomacy.”
Einpauken von Fakten, Zahlen, Geschehnissen, zu denen die Schüler keinen Bezug haben, haftet nur in ihrem Kurzzeitgedächtnis.
Klaus Trautner: “Geschichte ist Fakten ochsen und Jahreszahlen bimsen Brauchen tut man sie, weil man das Abitur will ( auch wenn man nicht so recht weiß warum und wozu), deshalb das Klassenziel erreichen muss. Und das erreicht man nur, wenn man die nächste Ex/Schul- aufgabe Fakten bimst und Jahreszahlen ochst.”
Auf diese Weise wird kein affektiver Bezug zur Geschichte hergestellt, der die Voraussetzung für Erkenntnis und Aneignung von Geschichte und für die Entwicklung eines historischen Bewußtseins ist. Schüler wollen den geschichtlichen Prozess nachvollziehen, um sich selbst ein Bild zu machen. Sie wollen sich keine Ergebnisse und Fakten einprägen müssen, die sie nach Gebrauch sofort wieder vergessen. Rationalisierung, Versachlichung des Geschichtsunterrichts, von Schulbuchverlagen angebotene Arbeitsersparnis in Form von vorgefertigten Unterrichtsmodellen,  nehmen Lehrern und Schülern die Spontanität und sind einem persönlichen Bezug zur Geschichte hinderlich. Die Erzählung hingegen bringt die vergangenem Leben eigene Dynamik in den Unterricht, indem sie vergangenes Leben vergegenwärtigt. Sie macht Geschichte erlebbarer. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Interesses und ermöglicht so einen persönlichen Bezug zur Geschichte.

      Die Rolle des Erzählers als Zeitzeuge

Die warhafftige Historia des Fahrenden Schülers aber ist eine Erzählung besonderer Art, nämlich die authentische Erzählung eines Zeitzeugen. Aus der Perspektive des Reisknaben der im Lande umhervagabundiert, erfahren Schüler die Wirklichkeit des 16.Jahrhunderts. Mit diesem Erzähler identifizieren sie sich. Durch ihn wird Vergangenheit lebendiger, spannender, bedeutungsvoller.

Es sei zum Vergleich der Darbietung des Raubritter-Unwesens in bundesdeutschen Schulbüchern und in der Erzählung des fahrenden Schülers eingeladen: ein paar moralisierende Sätze über den Zerfall der Ritterideale dort und hier der Raubritter in Aktion. Die Schüler erleben die Inszenierung seiner Überfälle, das Kidnapping eines Regensburger Bürgermeisters samt seinem Sohn, alles zudem authentisch, den Lebensbeschreibungen des Götz und Schertlin und dem Wehklagen der Regensburger Ratsprotokollanten zugleich nacherzählt.

Klaus Trautner: “Dass Geschichte unterhaltsam sein kann, weil sie auch was zu tun hat mit- der Name sagt’s ja schon - Geschichten-Erzählen und Phantasie hat in der skizzierten Vorstellung keinen Platz. Aber selbst die, die mit Geschichte absolut nichts am Hut haben,  werden zu gebannten Zuhörern, wenn Geschichte leibhaftig  als Geschichten erzählender Augenzeuge vor ihnen steht. Es ist halt eine Sache, z.B. die Hiroshima-Bombe und ihre Auswirkungen als Geschichtsfakten zur Kenntnis zu nehmen, eine ganz andere aber, wenn eine  Überlebende erzählt, was sie damals erlebt hat und bis heute am Leibe trägt.  Frau Dr. Maria Musiol hat versucht, einen solchen Augenzeugen für das 16. Jahrhundert aufzutreiben. Kein einfaches Vorhaben! Dass es dennoch gelungen ist, zeigt ihr Buch. Die Zusammenarbeit von Historikerin und Geschichtenerzählerin, die Kombination von detailliertem Sachwissen... und gründlicher Recherche einerseits und einer an Fakten orientierten Phantasie andererseits haben einen solchen Zeitgenossen entdeckt und zum Leben erweckt. Franziskus Lapidus heißt er. 1502 ist er geboren und bringt es während seines Lebens vom Ziegenhirten zum Buchdrucker und Lehrer.”Natürlich behält der Erzähler seine Identität nur, wenn man ihm seine Sprache läßt. Darum wurde in der Warhafftigen Historia die Sprache des 16. Jahrhunderts in ihrer Rhetorik, Bildhaftigkeit beibehalten und flüssig lesbar gemacht, vor allem wurde die für das 16. Jahrhundert typische Verschachtelung der Sätze vereinfacht  Die zunächst etwas fremdartige Sprache , in die man sich aber schnell einliest, soll Schüler zum Sprachvergleich herausfordern, ihnen zu Bewußtsein bringen, wie blutleer ihre deutsche Sprache im Computerzeitalter geworden ist im Vergleich zu der bilderreichen, rhetorisch aufgeladenen Sprache des Reformationszeitalters.

      Die Verwendung im Unterricht

Die Erzählung des fahrenden Schülers ist kein Schulbuch. Aber sie kann in vielfältiger Weise im Geschichts- und Deutschunterricht zum Einsatz kommen. Darum wird sie auch von den Rezensenten zur Anschaffung für die Schulbibliothek empfohlen. Das Buch eignet sich nach ihrer Meinung für Referate, Projekte, vor allem aber zur Veranschaulichung der religiösen und sozialen Unruhen in den unteren Bevölkerungsschichten des Reformationszeitalters.

Der Gutachter-Ausschuss für Schülerbibliotheken in Bayern empfahl das Buch in der Broschüre Lesenswert, die im Auftrag des Bayerischen Kultusministeriums herausgegeben wird, primär für den Deutschunterricht der 9.Klassen (Referat), aber auch auszugsweise für die 5. Klassen (Besprechung von Schwänken usw). Zehn-und Elfjährige haben Spaß  an der lustigen Sprache des fahrenden Schülers und setzen die bittere Armut und Gefährdung des kleinen Reisknaben  in Vergleich zu ihrem eigenen Überfluss und ihrer Umsorgtheit.

Einsatz findet das Buch ferner in der Geschichtsdidaktik an Universitäten , in der Referendarausbildung und in der Lehrerfortbildung. Dr. Günter Kosche, Universität Rostock: “Ich bin nicht nur persönlich interessiert, sondern sehe sehr gute Verwendungsmöglichkeiten Ihres Werkes in der studentischen Ausbildung für verschiedene Lehrämter, wenn es um die Frage geht: Geschichte, Fakten und Fiktion.”
Auch Professor Cesarani möchte es in den Händen von Lehramtskandidaten wissen:
It is a very interesting history of the later middle ages and a most attractive product and I hope it reaches a lot of school students throughout Germany.”

Geschichtslehrer unterrichten das 16. Jahrhundert normalerweise second hand  Es fehlt ihnen die Zeit, sich mit Primärquellen intensiv und extensiv auseinanderzusetzen, das umfangreiche Quellenstudium auf sich zu nehmen, wie es diese Art von Erzählung erfordert. Als eine komplexe Sammelquelle des 16. Jahrhunderts bietet ihnen die warhafftige Historia Möglichkeiten zur lebendigen, anschaulichen und authentischen Gestaltung ihres Geschichtsunterrichtes.

Dr.Rudolf Lehner schreibt in der Zeitschrift Das Gymnasium in Bayern im März 1999:
Des fahrenden Schülers warhafftige Historia... klingt so authentisch, dass man meinen könnte, es handle sich um eine erst entdeckte Erzählung aus dem 16. Jahrhundert, die lediglich in einer unserer Zeit angenäherten Schreibweise veröffentlicht wurde. Das trifft jedoch nicht zu. Dennoch ist diese Reisebeschreibung ein historisches Buch....
Die Rückschau des Schulmeisters auf sein Leben gibt unmittelbaren Einblick in die Lebensverhältnisse dieser Zeit, macht das Buch zu einer anschaulichen und lebendigen Sozial- und Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts. Zum historischen Buch wird diese Erzählung aber auch wegen ihrer Darstellung. Die Autorin läßt den Schulmeister nämlich in der Sprache der Chronisten dieser Zeit über sein Leben berichten. Wenn auch das Frühneuhochdeutsch der Chroniken für Leser unserer Zeit adaptiert und die Schreibweise leicht lesbar gestaltet wurde, so sind Wortwahl, Rhetorik, Bilder - kurz der gesamte Sprachduktus historisch geprägt. Der authentische Charakter dieser Lebensbeschreibung wird dadurch erheblich verstärkt. Diese Vorzüge machen das Buch ...zu einer Art Ersatzquelle für das Leben im 16. Jahrhundert.”

Professor Cesarani schließt seinen Artikel im Observer mit dem Satz: “Instead of wingeing the dons should start working with teachers to improve history teaching of all periods, making it more exciting and meaningful for the young people on whom our future depends.”

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

zum Seitenanfang - zur Startseite

 

© delorado 2000/2001