Quellencollage - Pastiche Montierte Vergangenheit? Warum aber eine semifiktionale Autobiographie aus vier authentischen Lebensbeschriebungen montieren, warum nicht gleich die authentischen Biographien des 16. Jahrhunderts
edieren? Die Warhafftige Historia des Fahrenden Schülers bietet mehr geschichtliche Wirklichkeit als diese vier Autobiographien des 16. Jahrhunderts: Heinz Singer in seiner Besprechung (Gemeinsames
Amtsblatt der Ministerien für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung und für Kultur, Jugend, Familie und Frauen in Rheinland Pfalz): “Wichtige Ereignisse, Zeitströmungen und Mentalitäten der Reformationszeit werden durch
Personifizierungen veranschaulicht und konkretisiert.” Scholaren, grausame Schulmeister, Teufelsbeschwörer, skrupellose Raubritter, wütende Bauern, charismatische Bauernführer und fanatische Utopisten,
bestechliche Stadträte und aufständische Handwerker, wortgewaltige Reformatoren und eine strikte Obrigkeit kreuzen den Weg des “Reisknaben”; denn seine Erzählung schöpft aus vielfältigen Quellen des 16. Jahrhunderts, nicht nur aus
den vier Lebensbeschreibungen. Der fahrende Schüler erlebt auf seiner Wanderschaft von einer Schule zur andern die sozialen Unruhen in den Städten, verdingt sich bei einem böhmischen Grafen und bei einem Raubritter, zieht mit
aufrührerischen Bauernhaufen umher, ist aber auch als Winkeldrucker und Buchführer für Thomas Müntzer tätig und erlebt die Schlacht “unterm Regenbogen” live. Schließlich baut er sich eine bürgerliche Existenz als Drucker und
Schulmeister auf. Dem Leser bietet sich nicht nur die Geschichte eines aus unserer heutigen Sicht ungewöhnlichen Lebens, sondern zugleich ein authentisches Panorama Deutschlands im frühen 16. Jahrhundert
Allerdings charakterisieren die Bezeichnungen Collage und Pastiche die Erzähltechnik nicht ganz korrekt. Es werden nicht einfach verschiedenartige Quellen collageartig montiert;
denn diese Technik verträgt sich nicht mit der Darstellungsform der Autobiographie. Vielmehr waren die Quellentexte der Sprache und der Persönlichkeit des Erzählers zu assimilieren, aus dessen Perspektive sich die geschichtliche Wirklichkeit darbietet.
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